Der Knecht Gottes, gedemütigt, wiederhergestellt

Der Knecht Gottes, gedemütigt, wiederhergestellt

(Jesaja 50,4-7)

 

 

GOTT, der Herr, hat mir die Zunge eines Jüngers gegeben, damit ich den Müden mit einem Wort zu erquicken wisse. Er weckt Morgen für Morgen, ja, er weckt mir das Ohr, damit ich höre, wie Jünger [hören].

GOTT, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet; und ich habe mich nicht widersetzt und bin nicht zurückgewichen.

Meinen Rücken bot ich denen dar, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften; mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.

Aber GOTT, der Herr, wird mir helfen, darum muss ich mich nicht schämen; darum machte ich mein Angesicht wie einen Kieselstein, denn ich wusste, dass ich nicht zuschanden würde.

 

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Der Predigttext von heute hat in einigen Übersetzungen eine Überschrift ähnlich wie: „Der Knecht Gottes, gedemütigt, wiederhergestellt“. Und heute möchte ich mit Ihnen über diese drei (oder vier) Worte nachdenken: Der Knecht Gottes, gedemütigt, wiederhergestellt.

 

Zunächst zum Knecht Gottes, oder Diener Gottes. Wer ist der Knecht Gottes? Der Knecht Gottes, sagt uns der Predigttext, ist der Mensch, der Gottes Wort hört und spricht. Somit möchte ich heute nicht auf den historischen Hintergrund dieses Textes eingehen und fragen: „von wem redet der Prophet?“, sondern möchte ich die Ansicht vertreten, dass wir alle dazu berufen sind, Diener Gottes zu sein, nämlich diejenigen, die das Wort Gottes hören und es an andere weitergeben. Und so schreibt der Prophet: „Er weckt Morgen für Morgen, ja, er weckt mir das Ohr, damit ich höre, wie Jünger [hören].“

 

Der Morgen ist die Zeit, in der wir aus dem Schlaf erwachen. Selbst dann, von den ersten Augenblicken des Tages an, ist Gott da und spricht zu uns. Und wir sind aufgerufen, Gottes Worte zu hören, wie Jünger es tun. Aber wie? Vielleicht müssen wir, um die Worte Gottes zu hören, Gott vertrauen, so wie Jünger ihrem Lehrer vertrauen. Denn Gottes Worte sind Worte des Friedens, der Güte, des Lichts, des Trostes, des Mutes und der Hoffnung. Selbst dann, am frühen Morgen, kommen Gottes Worte zu uns und wir können diese hören.

 

Und dann kommt im Predigttext ein wichtiger Satz: „GOTT …hat mir das Ohr geöffnet; und ich habe mich nicht widersetzt und bin nicht zurückgewichen.“ Der Diener, der Knecht Gottes hört die Worte und wendet sich nicht ab. Das ist sehr wichtig, liebe Gemeinde. Manchmal hören wir die Worte des Trostes und der Hoffnung, wir hören die Worte des Vertrauens und des Lichts, aber wir nehmen diese Worte aus vielen verschiedenen Gründen nicht ernst. Manchmal denken wir, dass unser Schmerz so groß ist, dass er nicht getröstet werden kann. Manchmal sind wir so sehr mit unseren Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten beschäftigt, dass wir uns nicht einmal trauen, die Worte Gottes zu hören und ihnen zu glauben; die Worte, die uns neue Türen öffnen und uns jeden Tag neue Möglichkeiten, neue Chancen geben, damit es uns gut geht und wir Gutes tun können. Und manchmal denken wir, dass wir die Worte Gottes nicht brauchen, weil wir schließlich alles alleine in dieser Welt bewältigen müssen. Aber wir übersehen, dass die Worte Gottes nur als Hilfe für uns da sind. Sie sind da, damit wir alles besser schaffen können, damit wir alles gut machen. Gott ist für uns keine Störung oder Ablenkung. Ganz im Gegenteil. Durch Gott lernen wir das Leben besser zu verstehen, wir verstehen uns selbst und die Welt besser. Wir sehen den Weg besser, den wir gehen wollen. Da Gott wie der Atem ist, den wir einatmen, macht uns das Leben, den Frieden und die Hoffnung möglich.

 

Und im ähnlichen Sinne haben wir auch heute Morgen mit dem Text von Jochen Klepper gesungen:

 

Er weckt mich alle Morgen,

Er weckt mir selbst das Ohr.

Gott hält sich nicht verborgen,

führt mir den Tag empor,

dass ich mit Seinem Worte

begrüß das neue Licht.

Schon an der Dämmrung Pforte

ist Er mir nah und spricht.

 

Wenn wir aber den Predigttext von Anfang an lesen, sehen wir, dass es nicht nur darum geht, das Wort zu hören, sondern dass der Diener Gottes auch derjenige ist, der das Wort Gottes spricht; derjenige, der Worte der Hoffnung und des Friedens spricht, Worte der Ermutigung, die die Müden erquicken, Worte der Versöhnung für alle, die in Konflikt stehen. Und nun könnte man fragen: Warum sollte ich anderen Worte der Ermutigung und Versöhnung zusprechen? Warum sollte ich mich überhaupt um andere kümmern, vor allem, wenn sich niemand um mich kümmert? Und die Antwort ist, weil wir andere brauchen. Wenn Gott die ganze Schöpfung erschaffen hat, dann ist für die Diener Gottes die ganze Schöpfung wichtig. Nicht nur ich stehe im Mittelpunkt von Gottes Schöpfung. Wenn wir uns nur auf unser Leben konzentrieren und uns mit unseren eigenen Erfolgen oder Misserfolgen beschäftigen, werden wir am Ende auch allein bleiben. Daher dürfen und können wir aus unserem engen Kreis herauskommen und auf andere zugehen. Dazu ist der Diener/ der Knecht Gottes berufen, das Wort Gottes an andere weiterzugeben.

 

Der Rest des Predigttextes bringt mich zu den nächsten beiden Worten, über die ich heute mit Ihnen nachdenken möchte: „Meinen Rücken bot ich denen dar, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften … aber GOTT … wird mir helfen“.

 

Der Diener Gottes erlebt zwei Momente im Leben: Demütigung und Wiederherstellung. Und diese beiden Momente wiederholen sich immer und immer wieder. Und sie sind in der Tat Teil des Lebens eines jeden Menschen. Diese beiden Momente gipfeln in Jesus Christus, in seinem Tod und seiner Auferstehung. Jesus, der kam, um die Liebe Gottes zu predigen. Und doch wurde er von den Mächtigen abgelehnt, weil er sich ihren Plänen nicht unterwarf. In der Schriftlesung haben wir gehört, wie Jesus in Jerusalem einzog und wie Viele ihn mit Freude und Palmzweigen empfingen, während die Pharisäer und Schriftgelehrten sich über den Ruhm Jesu ärgerten und schon bald ihre Pläne zur Kreuzigung Jesu begannen.

 

Demütigung, liebe Gemeinde, steht hier für die menschliche Zerbrechlichkeit. Wir alle sind Schmerzen, Krankheit, Einsamkeit und Tod ausgesetzt. Wir sind dem Scheitern und Fehlern ausgesetzt. Wir sind manchmal auch Anfeindungen und ungerechter Behandlung durch andere ausgeliefert. Der Diener Gottes nimmt Schmerz und Tod an, und in seiner Annahme liegt seine Erlösung. Dies ist hier kein Zeichen der Schwäche. Aber manchmal ist das Leben eben ungerecht und es ist wichtig, dass wir unseren Weg weitergehen. So hat auch Jesus gemacht.

 

In unserer Hilflosigkeit wenden wir uns an Gott. Und es ist besser zu sagen, in der Annahme unserer Hilflosigkeit, dass wir uns an Gott wenden, und in diesem Moment unserer Hinwendung wird uns die Kraft gegeben, durchzuhalten.

 

Gott oder Gottes Hilfe wird zu uns kommen, wenn wir Gott und Gottes Hilfe suchen. Denn wie soll Gottes Hilfe zu uns kommen, wenn wir sie nicht in unserem Herzen suchen? Das ist die Bedeutung des Bibelverses: „Suchtet, so werdet ihr finden“ (Matthäus 7:7). Auch hier können uns die Worte Jesu helfen. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12,24) So ist es auch mit uns: Wenn Schwierigkeiten, Schmerz, Krankheit und Misserfolge kommen, haben wir oft so viel Angst, dass wir uns nicht trauen, sie anzunehmen, sie wirklich durchzustehen. Wir würden sie lieber vermeiden und einen leichteren Weg einschlagen. Aber wenn wir sie annehmen, wenn das Weizenkorn stirbt, bringt es viel Frucht. Und darin liegt die Wiederherstellung des Dieners Gottes.

 

Und so erfahren wir, dass der Diener Gottes Durchhaltevermögen hat, weil er das Wort Gottes hat, das Wort hört und es weitergibt. Und wissen Sie, wir haben mehr als das, was der Prophet zu seiner Zeit hatte. Wir haben Jesus Christus, das lebende und Leben-schaffende Wort Gottes in unseren Herzen. Dort, in der Tiefe des Herzens, ruft er uns auf, das Wort zu hören und es zu sprechen, damit wir an seinem Tod und seiner Auferstehung teilhaben.

 

Liebe Gemeinde, an diesem letzten Sonntag der Passionszeit, am Palmsonntag, lasst uns Jesus Christus in unseren Herzen empfangen. Lasst uns ihn in unserem Leben aufnehmen, und er wird uns die Bedürfnisse unserer Herzen erfüllen.

 

In diesem Sinne möchte ich die Predigt auch mit den Worten des Liedtextes von Klepper schließen:

 

Er will, dass ich mich füge.

Ich gehe nicht zurück.

Hab nur in Ihm Genüge,

in Seinem Wort mein Glück.

Ich werde nicht zuschanden,

wenn ich nur Ihn vernehm.

Gott löst mich aus den Banden.

Gott macht mich Ihm genehm.

 

Amen.

 

 

 

Sylvie Avakian

13.04.2025

MatthäusKirche