Christsein und die Politik
(1 Petrus 2,11-17)
Geliebte, ich ermahne euch als Gäste und Fremdlinge: Enthaltet euch der fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten; und führt einen guten Wandel unter den Heiden, damit sie da, wo sie euch als Übeltäter verleumden, doch aufgrund der guten Werke, die sie gesehen haben, Gott preisen am Tag der Untersuchung. Ordnet euch deshalb aller menschlichen Ordnung unter um des Herrn willen, es sei dem König als dem Oberhaupt oder den Statthaltern als seinen Gesandten zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun. Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr durch Gutestun die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen bringt; als Freie, und nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für die Bosheit benutzen, sondern als Knechte Gottes. Erweist jedermann Achtung, liebt die Bruderschaft, fürchtet Gott, ehrt den König!
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Der erste Brief Petrus wurde höchstwahrscheinlich kurz vor dem Tod des Petrus um das Jahr 65 herum geschrieben, als Neros Verfolgung noch andauerte. Nach dem Großen Brand von Rom im Jahr 64 n. Chr. versuchte Kaiser Nero, die Aufmerksamkeit von seinen eigenen Fehlern abzulenken, indem er die Christen als Sündenböcke hinstellte. Die Christen wurden als Fremde in der Gesellschaft mit Misstrauen behandelt. Weil sie Christen waren, hatten sie im Römischen Reich einen schlechten gesellschaftlichen Stand, wurden oft missverstanden und gingen enorme Risiken ein.
Dieser soziale Hintergrund der Christen im Römischen Reich im ersten Jahrhundert ist uns recht gut bekannt. Und obwohl seit damals viel Zeit vergangen ist, lässt sich an dieser Geschichte etwas erkennen, das mit unserer Zeit vergleichbar ist. Ich meine damit, wie Fremde in einer Gesellschaft eingeordnet, klassifiziert und als Übeltäter verleumdet werden. So wie zur Zeit von Petrus die Christen im römischen Reich als Fremden, die nicht dazu gehören, angesehen wurden, so werden heute andere, als Fremde angesehen und als minderwertig klassifiziert. Und doch glaube ich, dass es etwas Gemeinsames zwischen Christsein und Fremdsein in dieser Welt gibt. Und damit meine ich nicht, dass Christen eine andere Heimat im Himmel haben, zu der sie nach dem Tod gelangen, und dass sie sich im Leben darauf konzentrieren sollen, anstatt sich mit Fragen in der Welt zu beschäftigen. Das ist auch nicht die Bedeutung hier in diesem Brief. Christen leben in der Welt, sind ein Teil von ihr, und ich würde sagen, ein aktiver Teil. Dennoch ist das Element des Fremdseins in der Welt irgendwie ein Bestandteil des Christseins. Damit meine ich, dass das Christsein die Person dazu formt und gestaltet, ein Fremder zu werden, eine Art Einwanderer in der Welt. Aber warum ist das so? Warum sollte ein Christ ein Leben als Fremder in der Welt führen? In der Predigt am vergangenen Sonntag habe ich gesagt, dass die Liebe uns Tag für Tag formt, sodass wir jeden Tag freundlicher, demütiger und selbstloser Menschen werden. Und der heutige Predigttext beschreibt die Christen als Gäste und Fremdlinge in der Welt und ich meine, die Beschreibung gehört zu jedem Christsein auch heute noch.
Warum aber macht uns unser Glaube zu Gästen und Fremdlingen? Die Antwort liegt darin, dass der christliche Glaube eine spirituelle Angelegenheit ist. Die Welt verlangt nach anderen Dingen als dem, wonach der Geist Gottes in uns strebt. Die Welt verlangt nach Reichtum, Macht und Ruhm des Selbst, ohne die Kosten all dessen zu berücksichtigen. Der Geist in uns hingegen strebt nach Einheit. Über den Heiligen Geist sagen wir oft, dass er uns vereint, und das ist wahr. Der Geist strebt nach Einheit, nach Freiheit. Der Geist kann Sklaverei nicht akzeptieren, während die Welt sie akzeptiert, um ihre Ziele zu erreichen. Der Geist ist demütig, liebevoll, fürsorglich, der Geist Gottes strebt nach Frieden, nach Frieden auf der ganzen Welt für alle Menschen, die Brüder und Schwestern im Geiste sind. Und so stehen die Worte von Petrus im Predigttext: „Erweist jedermann Achtung, liebt die Bruderschaft“. Zum Christsein gehört es daher, den eigenen Glauben bewusst zu leben. All dies sind jedoch ziemlich seltsame Dinge für die Welt. Und in diesem Sinne können wir diese Worte im Predigttext auch verstehen: „Geliebte, ich ermahne euch als Gäste und Fremdlinge: Enthaltet euch der fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten“.
Zu allen Zeiten in der Geschichte hatten Christen nicht viel mit den politischen Mächten der Welt zu tun. Wir können diesen Satz irgendwie verstehen, ob wir ihm zustimmen oder nicht. Und hier beziehe ich mich nicht auf die Kirche als Institution, und ich habe nicht vor, heute über die Kirche als Institution zu sprechen. Die Aussage lautet also: Christen haben nicht viel mit Politik zu tun. Im Gegensatz zu dieser Aussage könnte man sagen, dass Christen Teil einer Gesellschaft und eines Landes sind und daher eine aktive politische Stellung einnehmen müssen, entweder mit den politischen Autoritäten, indem sie sich mit ihnen verbünden, oder gegen sie als Opposition, je nach politischer Situation. Wenn wir aber heute über Politik und Glauben als solche nachdenken, stellen wir fest, dass die beiden nicht viel gemeinsam haben. Christen haben ihren Weg, oder ihre Art und Weise des Denkens und Lebens, die sich nicht vollständig mit den Wegen der Politik in Einklang bringen lässt, und das gilt auch umgekehrt: Christen scheinen mir eher unter mächtigen und bösen Autoritäten zu leiden, als dass sie zu den Waffen greifen und als Opposition den Krieg erklären. Aber das darf nicht missverstanden werden. Ein Christ darf nicht einfach den Anweisungen der Politik folgen und sie gehorchen, ohne sich die Frage zu stellen: Sind meine Handlungen richtig? Unter mächtigen und bösen Autoritäten sind Christen aufgefordert, den Ansprüchen des christlichen Glaubens treu zu bleiben. Das Beispiel des Theologen Dietrich Bonhoeffer und seines Widerstands gegen den Nationalsozialismus, den er mit seinem Leben bezahlte, kann hier nicht außer Acht gelassen werden. Über die Bedeutung des Christseins schrieb Bonhoeffer: „Wie Christus nur Christus ist als der leidende und verworfene, so ist der Jünger nur Jünger als der leidende und verworfene als der mitgekreuzigte. Die Nachfolge als die Bindung an die Person Jesu Christi stellt den Nachfolgenden unter das Gesetz Christi, d. h. unter das Kreuz.“ (Nachfolge, Gütersloher Verlagshaus, 2008, 77)
Was ich heute sagen möchte, liebe Gemeinde, ist, dass Politik und christlicher Glaube im Kern zwei verschiedene Dinge sind. Und doch müssen Christen, und damit meine ich hier die Kirche als Glaubensgemeinschaft, ihre Stimme für die Wahrheit, für den Frieden und für die Freiheit erheben. Kirche und Christen können nicht schweigen, wenn unschuldige Menschen sterben, wenn das Böse das Gesicht der Gerechtigkeit annimmt und Kriege unter dem Deckmantel der Säuberung führt. Christen sind dazu berufen immer eine Stimme zu sein, ähnlich wie die Stimme Johannes des Täufers, der den Weg für Jesus bereitet hat. Und wie es im Johannesevangelium geschrieben steht, ist es die Stimme „eines Rufenden, [die ertönt] in der Wüste“, was bedeutet, dass es sich meistens um eine fremde Stimme handelt, eine seltsame Stimme, die nicht häufig und oft gehört wird, oder gewünscht wird, gehört zu werden. Und das ist es, was Christen zu Fremden in der Welt macht. Heute sind wir aufgefordert, nicht zu schweigen, wenn unsere Meinung gebraucht wird. Wir sind aufgefordert, uns nicht unter dem Schirm zu verstecken, der aus Verwirrung, Unklarheit, Angst, Zögern und einem Gefühl der Unsicherheit besteht. Hier ist keine besondere Situation direkt gemeint. Es kann sein, dass es sich um eine Angelegenheit bei der Arbeit, mit den Nachbarn oder in der Schule handelt, und von euch, liebe Konfirmanden, wird erwartet, dass ihr die Wahrheit sagt, die Unschuldigen verteidigt, dann tut das bitte. Verteidigt die Unschuldigen, akzeptiert keine Ungerechtigkeit, teilt, was ihr habt, mit denen, die nichts haben, auch wenn sie euch fremd zu sein scheinen. Christ zu sein ist mehr als nur ein Name, es ist eine Art zu leben, es ist eine Art, in der Welt zu sein, eine Art zu denken, zu sprechen und zu handeln. Ähnlich schreibt Petrus im Predigttext: „führt einen guten Wandel unter den Heiden, damit sie da, wo sie euch als Übeltäter verleumden, doch aufgrund der guten Werke, die sie gesehen haben, Gott preisen“.
Christen und Fremdlinge werden in der Welt oft durch die Unwissenheit der unverständigen Menschen verleumdet. Und es erfordert viel Mut und Freiheit im Geist, trotz Verleumdung und Missachtung Gutes zu tun.
Jesu Antwort an die Pharisäer und die Herodianern bringt diese Gedanken zu einem Schluss:
Diese kamen nun und sprachen zu ihm: Meister … ist es erlaubt, dem Kaiser die Steuer zu geben, oder nicht? … Und Jesus sprach zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Markus 12, 14,17) Amen.
Sylvie Avakian
03.11.2024