Das Wort Gottes und unser Gebet

Das Wort Gottes und unser Gebet

(1.Timotheus 4,4-5)

 

 

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und Gebet.

 

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Wie können wir liebe Gemeinde heute sagen, dass alles, was uns umgibt, gut ist? Diese Frage ist sehr berechtigt, vor allem an Tagen, an denen viele unschuldige Menschen, darunter viele Kinder sterben, Nationen Kriege führen, weil sie immer mehr haben wollen, egal wie viele Leben für ihre Ziele geopfert werden. Wie können wir dann alles im Leben mit Dankbarkeit empfangen? Das ist eine ziemlich große Herausforderung im Leben hier auf dieser Welt. Denn selbst wenn wir nicht in einer Kriegssituation leben, wie können wir dann in Situationen von Krankheit oder Tod dankbar sein?

 

Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, die Reihenfolge der Aussagen im heutigen Predigttext zu ändern, damit die Bedeutung des Textes leichter verständlich wird. Ich werde also die letzten beiden Aussagen nach vorne stellen und den Text noch einmal lesen:

 

Wenn alles durch das Wort Gottes und das Gebet geheiligt wird, dann wird alles mit Dankbarkeit empfangen. [Nur dann können wir sagen]: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich.

 

„Wenn alles durch das Wort Gottes und das Gebet geheiligt wird“. „Heiligung“ bedeutet, dass alles mit Gott verbunden ist. Es gibt zwei Elemente, durch die alles geheiligt wird, oder mit Gott verbunden wird, nämlich durch das Wort Gottes und durch das Gebet. Heute möchte ich mit Ihnen über diese beiden Elemente nachdenken und herausfinden, was wir darunter verstehen können. Das Wort Gottes steht an erster Stelle. Im ersten Kapitel der Bibel lesen wir, dass Gott alles durch das Wort geschaffen hat. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht.“ (1.Mose 1,3) Hat das Wort die Kraft zu erschaffen? Wenn wir darüber nachdenken, erkennen wir tatsächlich, dass Worte eine schöpferische Kraft in sich tragen. Ein Beispiel, das mir einfällt, sind die Worte, die ein Pfarrer zu Beginn eines Gottesdienstes spricht. Wir nennen es das „Votum“: „Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes“. Und dann darf der Gottesdienst anfangen. Worte haben also erschaffende Kraft. Ein Architekt sagt zu seinen Mitarbeitern: „Jetzt wollen wir ein Haus bauen“ oder „wir wollen eine Brücke bauen“. Und dann wird ein Haus oder eine Brücke gebaut. In Konfliktsituationen würden drei oder vier Worte ausreichen: „Lasst uns miteinander reden“, damit eine friedliche Situation geschaffen wird. Somit ist ein erstes Merkmal des Wortes Gottes, dass es ein erschaffendes Wort ist, im Gegensatz zu allen anderen Worten, die zerstörende Kraft haben, wie wenn man sagt: „Jetzt lasst uns Krieg führen“.

 

Zweitens hat das Wort Gottes eine erhellende Kraft. Wir können auch sagen, dass das Wort Gottes eine aufschlussreiche und enthüllende Kraft hat. Wir kommen einfach dazu, wenn wir zum Beispiel die Bibel lesen, und wir können dann die Dinge besser und klarer verstehen als zuvor. Das ist für mich der Hauptzweck des Konfirmandenunterrichts. Wir wollen mehr verstehen, wir wollen das Licht des Wortes in unser Leben durchdringen lassen, damit es uns jeden Tag leitet. Jedes Mal, wenn wir etwas besser verstehen, jedes Mal, wenn Unklarheiten beseitigt werden, jede Gelegenheit, bei der die Wahrheit enthüllt wird, ist die Wirkung des leuchtenden Wort Gottes, das in uns und um uns herum ist. In diesem Sinne können wir auch die Worte Gottes von allen anderen Worten unterscheiden, die Verwirrung stiften, die Dinge in Dunkelheit hüllen, die Wahrheit verdecken und uns vom Verständnis fernhalten.

 

Drittens hat das Wort Gottes eine sinnbildliche Kraft in dem Sinne, dass das Wort für Gott steht, als eine Art Stellvertreter. Das Wort „sinnbildlich“ ist hier sehr wichtig, denn wir begegnen Gott nie selbst, sondern nur durch Gottes Wort. Durch das Wort können wir mehr über Gott und den Willen Gottes erfahren. Und Sie können fragen: Wo oder wie begegnet uns diese sinnbildliche Kraft des Wort Gottes? Diese sinnbildliche Kraft des Wortes begegnet uns, liebe Gemeinde, überall, in der Natur, in der Schöpfung, in den Bergen und im Himmel, solange wir glauben, dass Gott hinter all dem steht. Und es ist in diesem Sinne, dass wir mit den Worten des Psalms beten:

 

„Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündigt das Werk seiner Hände. … Ihre Reichweite erstreckt sich über die ganze Erde, und ihre Worte bis ans Ende des Erdkreises.“ (Psalm. 19,2.5)

 

Diese sinnbildliche Kraft des Wort Gottes kommt zu uns auch durch die Worte der Bibel, aber auch durch andere Menschen, solange wir glauben, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Und mit diesem Ausdruck meinen wir, dass der Mensch in sich das Bild Gottes trägt und somit ist jeder Mensch ein Kind Gottes, vielleicht eine Art Stellvertreter. Und es ist in diesem Sinne, dass wir auch sagen, dass Gott durch Menschen zu uns spricht und zu uns kommt. Und der Höhepunkt dieser Sinnbildliche Kraft findet sich in Jesus Christus, den wir das Wort Gottes nennen, weil wir glauben, dass Gott durch Jesus Christus zur Menschheit spricht.

 

So viel ist über das Wort Gottes gesagt worden als erschaffendes und erleuchtendes Wort, aber auch als ein Wort, das eine sinnbildliche Kraft hat. Aber was ist mit dem Gebet? Im heutigen Predigttext heißt es, dass das Gebet zusammen mit dem Wort Gottes die Kraft hat, alles zu heiligen. Liebe Gemeinde, zuerst kommt das Wort Gottes zu uns. Es kommt durch die Schöpfung, es kommt durch seine erhellende Kraft zu uns und es kommt durch Jesus Christus und durch jeden anderen Menschen zu uns. Und das Gebet ist nichts anderes als unsere Antwort auf das Wort Gottes. Das Gebet ist unsere Antwort, unser Wort an Gott.

 

Wenn wir Ja zum Wort Gottes sagen, verändert uns das Wort Gottes sodass auch wir nur Gutes schaffen wollen, auch wir wollen Licht in das Leben anderer bringen und selbst zu Worten Gottes in dieser Welt werden. Somit ist das Gebet, liebe Gemeinde, mehr als ein Wort. Das Gebet ist eine Haltung, es ist Leben, es ist Liebe und Barmherzigkeit. In diesem Sinne schafft ein Gebet Frieden, ermöglicht Freundlichkeit und macht es uns möglich, einen Fremden aufzunehmen und einem Feind zu vergeben.

 

Erst jetzt kommen wir zum ersten Satz im Predigttext: „Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird“.

 

Zuerst wird alles durch Gottes Wort und Gebet geheiligt, und dann kommt das Danken. Liebe Gemeinde, heute feiern wir Erntedank, und wir wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen in ihrem Leben dankbar werden. Der reiche Mann in dem Gleichnis, das wir in der Schriftlesung gehört haben, konnte diese Dankbarkeit nicht empfinden. Er war wahrscheinlich nie zufrieden und wollte immer mehr und mehr. Und in der Nacht, in der er noch Pläne zur Vergrößerung seines Vermögens aufstellen wollte, lesen wir, dass er starb.

 

Und so spricht Jesus zu seinen Jüngern: „Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ (Lukas 12,15)

 

Ich persönlich denke, dass Dankbarkeit die tiefste Antwort auf das Geschenk des Lebens ist, das wir von Gott erhalten. Dankbarkeit ist unser Gebet, das wir jeden Tag in unseren Herzen sprechen, nicht nur einmal im Jahr. Und wissen Sie, wie unsere Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht werden kann? Indem wir anderen etwas geben und helfen, können wir unsere Dankbarkeit ausdrücken. Und das Zeichen dafür sind die Gaben, die wir heute als unsere Antwort der Dankbarkeit an Gott bringen.

 

Schließlich kann nur ein dankbares Herz sagen, dass „alles, was Gott geschaffen hat, gut ist“. Und hier ist mit „alles“ wirklich „alles“ gemeint, die Erfolge und die Misserfolge im Leben, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod.

 

An diesem Erntedankfest wollen wir, liebe Gemeinde, unsere Herzen für das Wort Gottes öffnen und mit Dankbarkeit beten und sagen: „Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“. Amen.

 

 

Sylvie Avakian

 

06.10.2024