Taufe, die in die Freiheit führt

Taufe, die in die Freiheit führt

 

(Galater 3,26-28)

 

 

Denn ihr alle seid durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus; denn ihr alle, die ihr in Christus hinein getauft seid, ihr habt Christus angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus.

 

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Liebe Gemeinde, im heutigen Predigttext geht es vor allem um den Glauben an Jesus Christus und die Taufe. Wie Sie wissen, sind die Predigttexte vorgeschrieben, und an diesem Sonntag könnte ich mir keinen passenderen Text vorstellen als diesen aus dem Brief an die Galater.

 

Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde, dass sie alle Kinder Gottes sind. Allerdings kann man sich fragen: Was entscheidet darüber, wer ein Kind Gottes ist? Oder gibt es überhaupt etwas, das bestimmt, wer ein Kind Gottes ist? Die einzige Antwort, die wir im Text finden, lautet: durch den Glauben an Christus Jesus. Der Apostel Paulus möchte vor allem sagen: Ihr seid durch den Glauben gerettet und nicht durch das Gesetz. Und so schreibt er auch im 2.Kapitel des Briefs: Wir haben erkannt, „dass der Mensch nicht aus Werken des Gesetzes gerechtfertigt wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus“. (2,16)

 

Wie können wir diese Aussage heute verstehen?

 

In der Vergangenheit und bis heute wurde und wird der Glaube von vielen in erster Linie als Gesetz verstanden. Wenn man bestimmte Traditionen und Gesetze erfüllt, dann gilt man nach dieser Sichtweise als gläubig. Und wir können das verstehen, denn das Gesetz ist in der Welt sehr wichtig. Die Menschen, die den Glauben als Erfüllung bestimmter Regeln und Gesetze verstanden, haben den Glauben also durch die Brille der Welt angesehen.

 

Im Gegensatz zu dieser Auffassung von Glauben, haben die Menschen heute erkannt, dass Gesetze oder Traditionen des ‚Glaubens‘ nicht zwingend sind und dass sie einfach ohne sie auskommen können. Infolgedessen haben viele Menschen heute nicht nur den ‚Gesetzen‘ der Kirche entsagt, sondern auch bis zu einem gewissen Grad ihren Glauben oder ihre Verbindung zur Kirche aufgegeben, weil für sie Gesetze und Glaube miteinander verbunden waren oder sind.

 

Aber ist Glaube in erster Linie eine Frage des Gesetzes?

 

Der heutige Predigttext beantwortet diese Frage mit ‚nein‘. Glaube soll unabhängig vom Gesetz verstanden werden. Was macht uns dann zu wahrhaftigen Gläubigen, zu Kindern Gottes, wenn nicht das Gesetz? Hier kommt der Grundsatz Martin Luthers: „allein durch den Glauben“.

 

Wenn wir über diese Aussage nachdenken, befinden wir uns bereits auf einer anderen Ebene als alle Behauptungen der Welt. Der Glaube bringt uns zu Gott und zu allen anderen, ungeachtet aller Grenzen und Beschränkungen, die in der Welt gesetzt sind. Luthers Denken kann als Kampf gegen die Gesetzlichkeit verstanden werden und gegen die Strukturen, die die Menschen zu dieser Zeit in Unfreiheit hielten. Aber ist es überhaupt möglich, in der Welt frei von Gesetzlichkeit zu sein und den Glauben zu bewahren? Dies, liebe Gemeinde, ist die Herausforderung, der wir uns jeden Tag stellen müssen. Denn Glaube hat nichts mit Zwang oder Unterdrückung zu tun. Der Glaube ist freiwillig und kann nicht erzwungen werden. Ein Mensch möchte entweder mit Glauben leben oder möchte er das nicht. Sodass der Glaube uns von allen Formen der Unterwerfung befreit und macht uns in diesem Sinne zu Kindern Gottes, zu Kindern der Freiheit. Und genau darin liegt unsere Freiheit.

 

Somit ist der Glaube die freiwillige Annahme des Geschenk Gottes, nämlich das Bewusstsein, dass das Leben ein Geschenk ist. Glaube ist in diesem Sinne eine persönliche Überzeugung, eine persönliche Entscheidung, so persönlich, dass sie tief im Herzen des Menschen verwurzelt wird, sodass niemand anders diese Wurzeln entfernen kann. Der Glaube formt den Menschen von innen heraus, nicht wie Gesetze von außen. Gesetze kommen von außerhalb des Menschen und der Mensch denkt, dass er sie befolgen muss, ob er das will oder nicht. Aber der Glaube kommt aus dem Herzen und macht uns zu dem, was wir sind. Er macht uns anders als Menschen üblicherweise sind, sodass wir bestimmte Dinge mögen und andere nicht, bestimmte Dinge tun oder sagen wollen und andere nicht. Der Glaube verändert unser Denken und Tun und macht uns bewusst, dass wir nur aus Glauben gerechtfertigt sind.

 

Wenn uns also das Gesetz einschränkt, befreit uns der Glaube. Im Moment des Glaubens erkennt der Mensch, dass er ein Kind Gottes ist. Das heißt, dass Glaube und das Bewusstsein des Glaubens tief verbunden sind. So können wir die Taufe verstehen. Sie ist die selbst-bewusste Antwort des Menschen an Gott, eine Antwort des Glaubens, die besagt: Ja, wir und unsere Kinder sind Kinder Gottes.

 

Die Frage, die sich hier stellt, lautet: Was ist denn der Inhalt des Glaubens? Woran glauben wir? Wir Christen glauben an den dreieinigen Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Und das haben wir im Glaubensbekenntnis auch heute verkündet.

 

Wir glauben, dass Gott hinter der Schöpfung steht. Wir glauben, dass Jesus, der Sohn Gottes, als wahrer Sohn gelebt hat und gestorben ist, und durch ihn lernen wir auch, als wahre Söhne und Töchter Gottes zu leben. Und wir glauben an den Heiligen Geist, der die Gegenwart Gottes in und mit uns ist, der uns mit Gott verbindet und es uns jederzeit ermöglicht, uns Gott in unserem Herzen zu nähern.

 

Ist die Taufe also alles, was wir brauchen, um mit diesem Bewusstsein als Kinder Gottes zu leben?

 

Die Antwort lautet auch hier nein. Die Taufe ist kein magischer Moment, obwohl sie alle Elemente des Glaubens in sich trägt. Vielmehr ist die Taufe ein Weg, eine Lebensweise. Sie verleiht uns einen besonderen Charakter, eine besondere Freude. Sie verleiht uns Demut, Hoffnung und den Mut, jeden Tag unseres Lebens im Einklang mit dem Versprechen der Taufe zu leben.

 

Und so können wir verstehen, dass unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden in einigen Monaten selbst das Versprechen ihrer Taufe durch die Konfirmation bestätigen werden.

 

Im Lichte eines solchen Wachsens im Glauben verstehen wir die Worte des Paulus im Predigttext: „denn ihr alle, die ihr in Christus hinein getauft seid, ihr habt Christus angezogen.“

 

In Christus hinein getauft zu werden. ‚Hinein‘ bedeutet: zu, bis, in Richtung, zwecks. Im griechischen Original heißt es εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, in Christus hinein. Die Präposition εἰς bestimmt den Akkusativ und bezeichnet den Eintritt in die Richtung Christi. Das bedeutet, dass wir jeden Tag mehr in Christus hineinwachsen oder uns ihm annähern. Als ob wir Christus jeden Tag aufs Neue anziehen.

 

Aber wie sollen wir den Christus verstehen, zu dem hin wir alle zu wachsen berufen sind?

 

Liebe Gemeinde, Christus ist der neue Mensch. Durch die Taufe lassen wir das alte Leben hinter uns, den alten Adam, und nehmen den neuen Menschen, den Christus, auf uns. So steht die Taufe für diese Veränderung in unserem Leben. Durch das Eintauchen ins Wasser stirbt das Alte in uns und wenn wir aus dem Wasser auftauchen, werden wir neu geboren. Durch das Wasser wird das alte Wesen ausgewaschen, sodass der neue Mensch, der Christus in uns, zum Vorschein kommt.

 

Was bedeutet das in der Praxis oder in unserem Alltag? Liebe Gemeinde, wir sind alle einmal in unserem Leben getauft, aber die Taufe wirkt in uns weiter, so dass sie uns jeden Tag unsere Fehler nimmt und uns neues Leben, eine neue Existenz, neues Da-sein in der Welt schenkt. Damit die Taufe nicht auf ein einmaliges Ereignis beschränkt ist, sondern ein Ereignis, das unser Leben nachhaltig beeinflusst und uns die Möglichkeit gibt, Vergebung zu erlangen und an jedem neuen Tag ein neues Leben zu wagen. Und es ist in diesem Sinne, dass wir das neue Sein und die freie Existenz in der Welt verstehen. Ich lese aus dem Predigttext: „Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus“. Und Christus hat uns „zur Freiheit … befreit!“ (Galater 5,1 / Lutherbibel).

 

Durch dieses Verständnis von Freiheit sieht Jesus den Glauben der kanaanäischen Frau (Matthäus 15,21-28), über die wir in der Schriftlesung gehört haben und die, als eine Frau, die Nicht-jüdin war, weder die religiösen noch die sozialen Anforderungen der damaligen Zeit erfüllte. Jesus aber sagt zu ihr: „O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst!“

 

Die Freiheit, liebe Gemeinde, die uns der Glaube gewährt, hebt alle Grenzen, die Menschen untereinander aufrichten, alle nationalen Grenzen, alle Rassengrenzen, alle Geschlechtergrenzen, alle Grenzen des Gesetzes, der Tradition, der Religion, der Macht und der Zugehörigkeitsansprüche, damit alle Menschen als Kinder Gottes zusammenkommen und den Leib Christi bilden können. Erst dann ist der Sinn der Taufe erfüllt, nämlich die Taufe, die in die Freiheit führt. Amen.

 

 

Sylvie Avakian

 

22.09.2014