Diener des Geistes

Diener des Geistes

(2.Korinther 12,5b-16)

 

 

Meiner selbst wegen aber will ich mich nicht rühmen, als nur meiner Schwachheiten. Zwar wäre ich, wenn ich mich rühmen wollte, deshalb nicht töricht, denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit niemand mehr von mir hält, als was er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der außerordentlichen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Pfahl fürs Fleisch gegeben, ein Engel Satans, dass er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal den Herrn gebeten, dass er von mir ablassen soll. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen! Darum will ich mich am liebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus bei mir wohne.

Darum habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten um des Christus willen; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

 

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Die Autorität des Paulus steht in Korinth auf dem Spiel. Damals gab es einige Christen von außerhalb der korinthischen Gemeinde, die die Autorität des Paulus in Frage stellten und sie als verdächtig darstellten. Einige dieser Gegner des Paulus waren Christen mit jüdischem Hintergrund und andere mit griechischem (hellenistischen) Hintergrund. Die letztere Gruppe behauptete, im Besitz des Geistes zu sein und den Geist in einer Weise erlebt zu haben, die die Erfahrungen des Paulus übersteigt. Paulus muss auf diese Kritik reagieren. Gegen diese Kritik beschreibt er in Kapitel 3 dieses Briefes seinen Dienst als „Dienst des Geistes“. Und im heutigen Predigttext reagiert er auf die Kritik seiner Gegner in einer beispiellosen Selbstentblößung: Er spricht von einem Dorn oder Pfahl fürs Fleisch, der ihn schlägt, er spricht also von seiner Krankheit und Schwachheit. Wir wissen nicht, was Paulus' Krankheit war, die ihn wirklich einschränkte. Wir lesen, dass er dreimal darum gebetet hat, von seinem Leiden erlöst zu werden, aber Gottes Antwort war zu ihm: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen!“

 

Die Antwort Gottes an Paulus ist zugleich negativ und positiv: Sein Leiden bleibt bestehen, aber die ihm bereits gewährte Gnade Gottes besteht auch fort, und diese Gnade ist gerade in der Schwäche des Apostels wirksam. Wie sollen wir diese Aussage heute verstehen, nämlich, dass die Kraft Gottes in der Schwäche wirksam ist?

 

Wie verhalten wir uns oder gehen wir mit unseren Schwächen oder mit den Konflikten um, die uns im Leben begegnen? In unserer Kultur und unserer Zeit können wir den Konflikt, mit dem Paulus in Korinth konfrontiert war, sehr gut verstehen. Auch in unserer Gesellschaft werden Menschen oft von anderen angegriffen und unter Druck gesetzt, sodass Menschen sich immer wieder bewähren müssen. Vielleicht versuchen Arbeitskollegen oder Nachbarn, ähnlich wie zu Zeiten des Paulus, zu beweisen, dass sie etwas besser wissen oder etwas besser können als andere, sei es bei der Arbeit oder auf persönlicher Ebene in unseren Beziehungen zu anderen. Was sollen wir tun, wenn wir uns in einer solchen Situation befinden?

 

In Konfliktsituationen oder bei Schwierigkeiten suchen sich Menschen oft eine dieser beiden folgenden Möglichkeiten aus. Entweder glauben sie, dass sie stark genug sind, um das Problem selbst zu bewältigen. In diesem Fall versuchen sie das Problem selbst zu lösen, oder vielleicht wenden sie sich an Familienmitglieder oder Freunde, die Hilfe leisten können, und wenn das nicht funktioniert, ignorieren sie das Problem und leben oder arbeiten weiter, ohne zu akzeptieren, dass sie manchmal die Verlierer im Leben sein könnten. Die andere Möglichkeit für Menschen, die mit Konflikten konfrontiert sind, besteht darin, das, was sie bisher getan haben, aufzugeben, wodurch sie sich als Opfer einer ungerechten Behandlung durch andere fühlen werden.

 

Als Christen erkennen wir, dass wir eine dritte Möglichkeit haben, die uns gegeben ist. Unser Glaube macht uns beides bewusst, nämlich sowohl unsere Schwäche als auch unsere Stärke. Zum einen werden wir uns unserer Schwäche als Geschöpfe bewusst, die nicht die Herren dieser Welt sind und die nicht alles unter Kontrolle haben. Zweitens werden wir uns der Stärke bewusst, die uns und in uns von Gott gegeben ist und die eine andere Stärke ist als die Macht, die diese Welt zu haben vorgibt.

 

Um diese dritte Möglichkeit zu erklären, möchte ich die Worte des Paulus in eben diesem Brief an die Korinther (Kapitel 3) lesen:

 

„Nicht dass wir von uns selber aus tüchtig wären, sodass wir uns etwas anrechnen dürften, als käme es aus uns selbst, sondern unsere Tüchtigkeit kommt von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes; denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ (2.Korinther 3,5-6)

 

In diesem Zusammenhang ist das Wort Bewusstsein in beiden Bedeutungen sehr wichtig, nämlich das Bewusstsein der Schwäche und das Bewusstsein der Stärke. Zu sagen, ich bin mir meiner Schwäche bewusst, bedeutet nicht, dass ich mich wie ein schwacher Mensch verhalte, sondern es bedeutet, dass ich in Demut handle. Das bedeutet, dass ich mich nicht für wichtiger als andere halte, aber auch nicht für weniger wichtig als sie. Dies ist der Fall, weil dieses Bewusstsein der Schwäche kein privates Bewusstsein ist, sondern ein allgemeines menschliches Bewusstsein, auf dessen Grundlage ich meine Grenzen, aber auch die Grenzen anderer akzeptieren kann. Und auf dieser Grundlage kann ich Hilfe von anderen annehmen und bereit sein, anderen zu helfen. In unserer Gesellschaft ist die Herausforderung des Individualismus so stark, dass man sich selten traut, andere um Hilfe zu bitten, es sei denn, es handelt sich um Familienangehörige. Aber das Bewusstsein der Schwäche ist etwas, das uns mit allen anderen Menschen zusammenbringt, denn niemand ist von menschlicher Schwäche ausgeschlossen. So liegt im Bewusstsein der eigenen Begrenztheit und Schwäche die Kraft, die uns zugestanden wird. Gerade da, wo der Mensch schwach und schutzlos ist, erfährt er den Schutz Gottes, nämlich in seiner Wehrlosigkeit, nicht als Ersatzschutz für den nicht mehr vorhandenen Schutz, sondern als Gefühl der absoluten Abhängigkeit von Gott. Worin besteht nun diese Kraft? Diese Kraft, liebe Gemeinde, liegt im Bewusstsein der Schwäche, nämlich in der Annahme und der Bereitschaft, durch den Schmerz zu gehen, durch die schmalen Wege des Lebens zu gehen, anstatt den Schmerz zu leugnen und sich eine illusionäre Welt vorzustellen, in der es keinen Schmerz gibt, oder zu versuchen zu beweisen, dass man in der Lage ist, allein im Leben zu stehen, ohne in irgendeiner Lebenssituation Schwäche zu zeigen. Das Bewusstsein des Schmerzes und der Schwäche ist dann gleichzeitig das Bewusstsein der Stärke, die Stärke die uns im Geist und durch den Geist Gottes gegeben ist.

 

Und so schreibt Paulus, dass unsere Tüchtigkeit von Gott kommt, der uns befähigt, Diener des Geistes zu sein. Das ist es, was Paulus tut. Er schreibt, dass er eine Schwäche hat und dass er sich nicht rühmen will, denn es ist nichts zu gewinnen, wenn man sich rühmt. Können Sie, liebe Gemeinde, nachvollziehen, dass das Bewusstsein der Schwäche selbst die Kraft ist, die uns gegeben wird? Dies ist vergleichbar mit der Auferstehung Jesu Christi, die auf seinen Tod folgt. Durch dieses Bewusstsein nehmen wir Schmerzen in Kauf, nehmen wir Konflikte in Kauf und nehmen wir Leiden in Kauf, weil wir wissen und darauf vertrauen, dass Gott in jeder Schwierigkeit für uns da ist, dass Gott, der uns das Leben geschenkt hat, auch für uns sorgen wird. Dieses Vertrauen auf Gott ist, liebe Gemeinde, dasselbe wie das Bewusstsein der Schwäche. Wir sind schwach, weil es Gott gibt, und weil es Gott gibt, sind wir stark. Es ist dieses Vertrauen auf Gott und diese Kraft, die wir auch Kraft Jesu Christi nennen, dass wir es wagen, neue Wege zu gehen und neue Herausforderungen im Leben anzunehmen. Diese Kraft, die in der Schwäche wirksam ist, ermöglicht neue Anfänge, öffnet neue Türen im Leben. Es ist eine Kraft, durch die wir jeden Tag neu geboren werden, die uns stärkt, damit wir die Ängste und Qualen unseres Herzens überbrücken können.

 

Lasst uns, liebe Gemeinde, nicht fürchten und nicht zagen. Wenn wir die Nachfolger des Gekreuzigten sind, dann sind Schwachheit und Leiden kein Zufall. Im Angesicht von Konflikten und Schwierigkeiten, in Zeiten der Schwäche und des Schmerzes wird uns die nötige Kraft gegeben, um den Erschütterungen und Stürmen des Lebens standzuhalten. Vergessen Sie nicht: In der Hinnahme der Schwäche verbirgt sich die Stärke. Diese Kraft wird uns in widrigen Umständen halten und tragen.

 

In diesem Sinne schreibt der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ Amen.

 

 

Sylvie Avakian

30.06.2024