Die Zeichen der Vollkommenheit
(Römer 15, 4-13)
Im heutigen Predigttext schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom und mahnt die Gemeinde, untereinander einträchtig gesinnt zu sein. Zu dieser Zeit, 57-58 nach Christus, war die Situation in Rom völlig anders als in Jerusalem. In Jerusalem schätzten sich die Judenchristen als privilegiert ein, da sie sich an das Gesetz des Moses hielten. Daher wollten manche von denen die Heidenchristen nicht in der Kirche akzeptieren, weil diese sich nicht an das Gesetz hielten. In Rom war die Situation, wie gesagt, anders. In den Hauskirchen, die in Rom unter dem römischen Reich existierten, trafen sich Judenchristen und Heidenchristen. Die Judenchristen waren in Rom eigentlich die Benachteiligten. In Rom kam das Gesetz Mose nicht infrage. Im Gegensatz dazu hatten die Heidenchristen mit ihrem römischen Hintergrund im Rom Vorteile. Im Brief an die Römer versucht Paulus zu sagen, dass die Heidenchristen aber keine Privilegien haben. Er schreibt und mahnt die Christen, dass sie: „einträchtig gesinnt“ werden, „wie es Christus Jesus entspricht“. Wie kann man einträchtig gesinnt mit anderen Menschen sein: Nämlich mit anderen Menschen harmonisch und friedlich denken und leben? Wie konnten die Heidenchristen und die Judenchristen einander annehmen trotz all ihrer Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten? Wenn wir heute an uns selbst denken fällt es uns manchmal doch auch als Familie schwer, miteinander, oder mit Verwandten, harmonisch und einträchtig zu leben. Oft denken wir, dass wir ganz anders sind als andere Menschen, dass wir das Richtige denken und sagen, dass wir das Richtige tun und leben, während alle anderen Meinungen irgendwie weniger gut oder richtig sind. Das ist nun die Herausforderung unseres christlichen Glaubens, der in Jesus Christus seinen Sinn, sein Ziel und seine Bedeutung findet. Deswegen schreibt Paulus: „Dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht“. Er schreibt weiter: „Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.“
Dass wir einander annehmen, ist die Botschaft der Geburt Jesu in der Welt. Durch die Geburt Jesu glauben wir, dass Gott uns Menschen angenommen hat. Gott kommt zu uns, er nähert sich zu uns, sodass wir auch uns Gott annähern. Gott wird Mensch, so dass wir, die Menschen, durch Jesus Christus Gott erkennen können. Jesus ist in der Welt geboren, sodass wir auch ihn in unserem Leben annehmen und für ihn in unserem Herzen Platz machen. Der Weg aber zu diesem Ziel ist nicht sehr einfach. Dieser Weg geht durch das Annehmen anderer Menschen in unserem Leben, da Jesus zu uns durch andere Menschen kommt. Meistens kommt Jesus zu uns durch die Menschen, über die wir uns wahrscheinlich nicht genug Gedanken gemacht haben und auf die wir lieber in unserem Leben verzichten könnten; einen Fremden vielleicht, der neu bei uns wohnt, oder eine Verwandte, mit der wir seit vielen Jahren keine Beziehung mehr haben, oder sogar ein Bruder oder eine Schwester, mit dem oder mit der wir die Beziehungen, wegen familiäre Uneinigkeit, abgebrochen haben. Und nun schreibt Paulus über Geduld und Trost, als er die Gemeinde in Rom, nämlich die Judenchristen und die Heidenchristen, ermahnt, einander anzunehmen. Warum schreibt er über Geduld und Trost? Er beschreibt sogar Gott als Gott der Geduld und des Trostes. Ich lese: „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander“. Liebe Gemeinde, in unserem Herzen wissen wir, wie die menschlichen Beziehungen von uns Geduld und Trost verlangen. Wir wissen, dass wir nur durch Geduld die Menschen annehmen können, auch unsere eigenen Kinder, und ihre Irrtümer und Versehen akzeptieren und verstehen können. Die menschlichen Brüche, Verstöße und Verletzungen können nur durch Geduld bewältigt werden. Daher ist das harmonische Leben mit anderen Menschen nur durch Geduld möglich. Das heißt, dass wir mit Geduld die Schwierigkeiten und Hindernisse im Leben gegenseitig tragen und bewältigen sollen. Und nur durch den Trost, den wir in unserem Herzen geschenkt bekommen, können wir unsere eigenen Fehler und Irrtümer akzeptieren und auf das Bessere hoffen.
In der Zeit der Geburt Jesu war alles auch nicht einfach. Gegen alle Schwierigkeiten und Hürden hat sich Maria für die Botschaft des Himmels entschieden. Sie hat es akzeptiert, die Mutter Jesu zu sein; eine große Verantwortung in einer komplizierten Gesellschaft. Hat sie die Schwierigkeiten nicht gesehen, die auf ihr, als alleinerziehende Mutter, lasten würden, falls Josef sie nicht unterstützt hätte? Durch Marias schlichte „Ja“ Wort zu Gott ist Jesus geboren. Das Ganze war auch für Joseph nicht einfach, er hat aber Maria angenommen und durch Maria auch das Kind Jesus. Mit Geduld und Trost konnten Maria und Josef das Kind vor Herodes bewahren, der einen neu geborenen König nicht akzeptieren konnte. Stattdessen wurde er zornig und schickte aus und ließ alle kleinen Kinder in Bethlehem töten. Das war das Böse in reiner Form und das Böse können wir manchmal nur mit Geduld tragen.
In diesem Sinne sagen wir, dass wir durch die Geduld und den Trost lernen, wie wir hoffen können. Durch Geduld hoffen wir, dass all unsere Schwäche und die Schwäche anderer Menschen besiegt werden können. Daher können wir einander akzeptieren. Wir wissen aber, dass nur Jesus die Dunkelheit, den Schmerz, die Verletzungen und die Ungerechtigkeit in der Welt abwischen kann, denn er ist das Licht, der Trost und die Gerechtigkeit. In ihm gibt es keine Privilegierten und keine Benachteiligten, keine Juden und keine Heiden. Denn „alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen“, wie wir in der heutigen Schriftlesung aus Jesaja gehört haben. Vor Gott gehören wir alle zusammen und sind wir füreinander da.
Liebe Gemeinde, all das bedeutet, dass auch in unserem fehlerhaften Zustand, und auch, wenn wir die Schwächen und Fehler anderer Menschen, der Fremden, unserer Verwandten, aber auch Kinder, sehen, sind wir aufgerufen, die Hoffnung nie aufzugeben, denn die Hoffnung ist das Zeichen der Vollkommenheit, auch in aller Zerbrechlichkeit. Geduld und Hoffnung machen es für uns möglich nicht nur unsere Aufgabe im Leben zu erledigen, sondern sie zu vollziehen und zu erfüllen.
Jesus hat nicht nur seinen Auftrag erledigt, sondern hat ihn durch sein Leben und Tod erfüllt. Demzufolge sind die Geduld, der Trost und die Hoffnung die Zeichen der Vollkommenheit. Durch diese uns ist eine neue Seite im Buch des Lebens geöffnet, ein neues Leben gegeben, eine neue Freude geschenkt. Nun beschreibt Paulus Gott als Gott der Hoffnung. Er schreibt: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“
Liebe Gemeinde, Jesus ist der Sohn Davids, er ist aber auch der Heiland der Welt. Er ist vor mehr als 2000 Jahren in Bethlehem geboren. Er will aber für immer in unserem Herzen wohnen. Zu ihm, dem neu-geborenen König, sind die jüdischen Hirten durch die fröhliche Botschaft der Engel gekommen, aber auch die fremden Weisen vom fernen Land mit ihren Geschenken, denn er ist die Hoffnung aller Völker.
Daher ist die Botschaft für uns heute, am vierten Adventssonntag, dass wir die Geduld, den Trost und die Hoffnung nie aufgeben und damit kann für uns immer wieder eine neue Seite in
unserem Leben geöffnet werden. Heute, wenn wir uns für das Kommen Jesu Christi vorbereiten, hoffen wir nicht nur auf einen fröhlichen Abend oder einen friedlichen Tag, sondern auf die Erfüllung
der Freude und des Friedens. Möge der Gott der Geduld, des Trostes und der Hoffnung uns allen auf unseren Wegen begleiten sodass wir auch mit dem Psalter beten: »Lobet den Herrn, alle Heiden, und
preisen sollen ihn alle Völker!« Amen.
Sylvie Avakian
23.12.2018